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Einhalten oder nicht: Ungeschriebene Gesetze des Laufsports

Ja, es gibt sie: Die ungeschriebenen Gesetze des Laufsports, ohne die kein zielgerichtetes Training, kein Wettkampferfolg und weder Ruhm noch Ehre zu erringen sind. Sie werden gehegt und gepflegt und manch einer klammert sich mit geradezu evangelistischem Eifer daran und wird nicht müde, sie dem gemeinen Pöbel wieder und wieder zu erklären. Hält man sie nicht ein, besteht nicht einmal mehr der geringste Hauch einer Chance, in einer annehmbaren Zeit die Ziellinie zu überlaufen – so man sie denn überhaupt erreicht.

Klingt krass, gelle?! Ist es auch und es ist ebenso absoluter Unfug. Okay, es gibt lediglich ein einziges ungeschriebenes Gesetz, auf das das wirklich zutrifft. Man muss loslaufen! Klar, denn wer auf dem Sofa sitzen bleibt, der schafft es nicht ins Ziel.

Hier kann ich gleich mal ein wenig abschweifen. Bei großen Volksläufen, gerade im Bereich oberhalb der 10 Kilometer, gibt es immer wieder Teilnehmer die scheitern. Sei es die Tagesform, vielleicht eine unerkannte Erkrankung oder tatsächlich fehlende Form. Die Gründe sind vielfältig, aber eines haben alle gemeinsam. Sie haben den Mut aufgebracht, sich an die Startlinie zu stellen und sind losgelaufen. Und genau deshalb finde ich, dass die Medaillen schon direkt hinter dem Start verteilt werden sollten. Aber zurück zum Thema.

Bevor man aber damit beginnt, sich mit diesen ungeschriebenen Gesetzen, andere nennen sie viel richtiger „Mythen“, zu befassen, sollte man sich Gedanken dazu machen, weshalb man überhaupt trainiert und was man am Ende erreichen möchte. Denn in den meisten Fällen gehen die Menschen doch einfach nur laufen, um gesund zu bleiben, oder vielleicht auch die abendliche Tüte Chips auf dem Sofa zu kompensieren. Da ist also kein sportlicher Ehrgeiz dahinter und damit schon alles erledigt.

Steht allerdings sportlicher Ehrgeiz dahinter, muss auch hier differenziert werden. Will man eine bestimmte Strecke schaffen? Will man eine bestimmt Zeit schaffen? Nun, dann muss man auch ein wenig mehr trainieren und schon landet man bei ihnen, bei den ungeschriebenen Gesetzen, den Mythen, den Geheimnissen der erfolgreichen Sportler. Und genau die schauen wir uns jetzt nach und nach an. Heute gibt es den ersten.

Mach Dich mal so richtig lang!

Fangen wir einfach mit einem Thema an, dass tatsächlich sehr viel Laufeinsteiger beschäftigt. Das Thema „Dehnen“.

Dehnen vor und nach dem Laufen ist wie das Binden der Laufschuhe. Man tut es, um sich auf das Training vorzubereiten und danach wieder zu lockern.

Manch einer meint, man müsse extrem viel dehnen, andere sind komplett dagegen, der nächste meint, es müsse oder dürfe nur vor dem Training sein, beim wieder Nächsten nur hinterher. Als ich dereinst – gefühlt ist das schon jahrzehnte her – die Ausbilung zum Feuerwehr-Sportübungsleiter (Wichtig, wichtig! 😉 ) machte, war Dehnen noch das Nonplusultra. Vor und nach jedem Training wurden dabei alle Glieder solange verdreht und gestreckt, bis man dachte, die Muskeln reißen jeden Moment ab. 😯

Heutzutage geht die Lehrmeinung jedoch meilenweit davon weg, viele sagen sogar, dass man generell nichts dehnen sollte. Schaut man auf die verschiedenen Aussagen von Profis, Wissenschaftlern oder anderen, so geht die Tendenz wohl am ehesten dahin, dass man vorher nichts dehnt und hinterher die Intensität des Trainings den Dehnungsumfang vorgibt. Soll heißen: War man nur auf einer kurzen Rund eim Stadtpark, wird hinterher ein wenig gestreckt, war es eine etwas größere Runde, wird im Anschluß ’normal‘ gedehnt und war es ein hartes Trainiing, so wird erstmal nur alles warm verpackt und drei bis vier Stunden später ein umfassendes Dehnungsprogramm gefahren.

Wie üblich bei solchen Dingen, habe ich auch zum Thema Dehnen den allwissenden ChatGPT befragt:

Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob es sinnvoll ist, vor und nach einem Lauftraining Dehnübungen durchzuführen. Einige Studien legen nahe, dass Dehnübungen vor dem Training die Leistung beeinträchtigen können, während Dehnübungen nach dem Training das Verletzungsrisiko reduzieren und die Flexibilität erhöhen können.

ChatGPT

Da ist man doch direkt „schlauer als wie zuvor“, gelle?! 😉

Aber auch ich habe, abweichend von meiner einstigen Ausbildung, so mine Meinung zu diesem Thema. Denn bisher konnten fast alle Verletzungen und Wehwehchen die ich so im Zusammenhang mit dem Laufen hatte, durch bloßes Dehnen beseitigt werden.

Ehrlich? Ja, ehrlich! Allerdings hatte hier mein Physiotherapeut ganz entscheidend ein Wörtchen mitzureden. Oder vielmehr Hand anzulegen. Denn ein Therapeut ist in der Lage, einen Muskel sehr viel zielgerichteter und effizienter zu dehnen, als man es selbst vermag. Und im Anschluß an seine Arbeit gab und gibt es dann eben „Hausaufgaben“, die sich auch selbst erledigen lassen. Diese Dehnungen mache ich dann aber für gewöhnlich auch nur solange, bis die Verletzung auskuriert ist.

Und hier nun die Lösung

Über das therapeutische Dehnen hinaus hat mein Physiotherapeut aber auch eine Faustformel: Vor dem Lauftraining nur wenig Dehnen, nicht zu weit und nicht zu lange. Gerade so, dass es einen kleinen Reiz auf den Muskel gibt. Lieber hinterher und dann auch nur soweit, wie die Gelenke mitspielen.

Und damit hat er vollkommen recht, denn fast jeder Läufer wird es wissen, nach einem längeren Lauf – und hier rede ich von Läufen jenseits der 20 Kilometer – die Muskeln ohnehin weit genug gedehnt sind, dass man kaum noch Spannung hinbekommt, ohne die Gelenke über Gebühr zu belasten. Und dann sollte man keinesfalls übertreiben, nur um die Muskeln, Bänder und Sehnen mit Gewalt in die Länge zu ziehen. Dass sie bereits gedehnt sind, ist dann ja offensichtlich. Darüber hinaus gibt es durch die hohe Trainingsbelastung auch minimale Muskelverletzungen. Nichts Dramatisches, aber vorhanden. Und hier sollte man dem Muskel zunächst etwas zeit geben, sich zu erholen und solche Mikroverletzungen zu „sanieren“.

Sinnvoll ist es dann aber durchaus, einige Stunden nach dem Training noch ein wenig zu dehnen, allein um Verklebungen zu lösen. Die Muskeln sollten sich bis dahin etwas erholt haben und sind nicht mehr so böse, wenn sie jetzt noch einmal belastet werden. Und der Vorteil dieses späteren Dehnens, das auf den ersten Blick so überhaupt keinen Bezug zum Training hat, ist, dass sich nach möglicherweise einseitigen Belastungen einzelner Muskeln im Bein die gesamte Muskel- und Sehnenkette lockern kann.

Dadurch verhindert man recht gut, dass es im Nachhinein zu Überlastungen anderer Muskeln kommt, die sich schlimmstenfalls in dauerhaften Schmerzen äußern. Ein Problem, mit dem ich auch öfter zu tun hatte, ich weiß da also aus eigener, schmerzhafter Erfahrung, wovon ich spreche.

Dehnen oder nicht dehnen – die ultimative Wahrheit

Nun wissen wir es also: Die Dosis macht das Gift. Wie immer. Und auch wenn sich die Wissenschaft uneins ist, der Trend geht deutlich zu weniger Dehnen, zumindest in direktem Zusammenhang mit dem Lauftraining. Ich persönlich bleibe beim „vorher ein wenig, hinterher ein wenig mehr und sonst nur, wenn es mein Physiotherapeut tut“. Damit fahre ich aktuell am allerbesten und kann diese Vorgehensweise durchaus empfehlen.

Ansonsten ist es vermutlich auch kein Problem, einfach komplett zu verzichten. Was übrigens anstelle des Dehnens derweil empfohlen wird, sind aktive Bewegungen, also bspw. das Pendeln der Beine. Ob das aber tatsächlich sinnvoll ist, vermag ich nicht zu sagen. Und in 10 Jahren ist das ohnehin überholte Lehrmeinung … 😉

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